Versammlungsrechte in Zeiten von Corona und die zum Teil gewaltsamen Proteste in Pirna

Stellungnahme der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag SOE:

Aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie und der Versuche diese Pandemie einzudämmen, mussten viele Menschen zum Teil schwere Einschnitte ihres privaten und beruflichen Alltags hinnehmen. Der Unmut und die Frustration über das unmittelbare Wegbrechen der eigenen Lebensgrundlagen treffen große Teile der Gesellschaft. Die Menschen haben das Recht, ihre Sorgen und Nöte in die Öffentlichkeit zu tragen und an entsprechende Verantwortliche zu adressieren. Gleichzeitig ist vielen Menschen bewusst, dass eine schnelle Eindämmung der Pandemie größere menschliche und materielle Schäden in Deutschland verhindert hat. Besonders deutlich wird dies bei einem Blick in andere Staaten, die von den Auswirkungen der Pandemie mitunter deutlich härter getroffen wurden. Wenn die aktuellen Lockerungsmaßnahmen mit Augenmaß und unter der Prämisse beibehalten werden, dass es keine neuerliche und signifikante Ausbreitung des Covid-19-Virus gibt, sind wir auf einem guten Weg zurück zur Normalität.

Die staatlichen Eingriffe zur Bekämpfung der Pandemie berühren einige der allen Bürger*innen zustehenden Grund- und Freiheitsrechte. Von den staatlichen Maßnahmen betroffen ist, neben der Berufsfreiheit (Art. 12 GG), unter anderem die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG), die zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 GG) eingeschränkt wurde. Nicht zulässig hierbei ist ein generelles Verbot von Versammlungen, nicht solange einzelne Versammlungen und Demonstrationen unter Einhaltung gewisser Auflagen und Infektionsschutzmaßnahmen abgehalten werden können. Zu diesen Maßnahmen gehören unter anderem das Tragen eines Mundschutzes und die Einhaltung des Mindestabstandes zwischen den Teilnehmer*innen beziehungsweise die Begrenzung der Zahl der Teilnehmenden einer ordentlich angemeldeten Versammlung.

Die für Sachsen geltende Corona-Schutz-Verordnung schreibt die Einhaltung gewisser Infektionsschutzmaßnahmen im Grundsatz vor. Sie gilt als gesetztes Recht, ebenso wie die Verpflichtung von Versammlungsteilnehmer*innen, ihre Demonstrationen über die Ordnungsbehörden anzumelden und für die Einhaltung gewisser Auflagen zu sorgen. Daran hat sich mit Corona nichts geändert. Weder ist das Grundgesetz außer Kraft, denn Art. 8 Abs. 2 GG sieht die Einschränkung des Versammlungsrechts unter freiem Himmel ausdrücklich vor. Ebenso sieht Art. 11 Abs. 2 GG die Einschränkung der Freizügigkeit zum Zweck der Seuchenbekämpfung vor. Auch nicht wurden die auf dem Grundgesetz aufbauenden Gesetze abgeschafft oder die rechtsstaatlichen Verfahren aufgegeben. Daher kann bei den neuerlichen Corona-Protesten, die oft als „Spaziergänge“ getarnt sind, nur von illegalen Versammlungen gesprochen werden. Diese illegal abgehaltenen Versammlungen mögen legitime Interessen vertreten, wirklich legal sind sie, so wie zuletzt in Pirna, nicht.

Die Polizeibehörden stehen als Ordnungseinrichtung für die Einhaltung und Überwachung geltender Gesetze. Gleichzeit kritisieren wir Bündnisgrünen immer wieder, nicht zuletzt seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neustrukturierung des Polizeirechtes in Sachsen ab 01.01.2020, überbordende Befugnisse der Polizei und die Auslegung uneindeutiger Rechtsbegriffe durch Polizeibehörden und Einsatzkräfte. Dennoch sind Angriffe und Anfeindungen gegenüber Polizist*innen keine Form des friedlichen Protestes oder des zivilen Ungehorsams. Gewalt bleibt Gewalt und führt nur zu weiterer Gewalt und entsprechenden Gegenreaktionen. Die Polizei muss einerseits die Verhältnismäßigkeit bei Eingriffen in das Versammlungsrecht wahren und andererseits wirksam gegen das Abhalten einer illegalen Versammlung oder gegen einzelne Gewalttäter vorgehen. Diese schwierige Aufgabe zwischen den Fronten unterschiedlicher Interessen rechtfertigt es in keinster Weise, dass emotional aufgeladene Demonstrationsteilnehmer gegenüber der Polizei handgreiflich werden. Eine entsprechende Gegenreaktion der Polizei ist vorprogrammiert und im Grunde vermeidbar.

Im Zusammenhang mit Corona werden vermehrt Behauptungen aufgestellt, die jeglichen Bezug zur Realität vermissen lassen und die die Schuld dieser Pandemie wahlweise bei China, Bill Gates oder anderen geeigneten Projektionsflächen sehen. Es sind genau solche kruden Vorstellungen, die ein gewaltsames Handeln rechtfertigen sollen, denn, so die Annahme, in einer angeblichen „Corona-Diktatur“ muss man sich mit allen Mitteln gegen den Staat wehren. Die verbale Hysterisierung der Lage führt dazu, dass sich manche Menschen berufen fühlen, den Staat an dieser Stelle mit allen Mitteln zu bekämpfen und den Weg des friedlichen Protestes zu verlassen.

In dieses verantwortungslose Verhalten gegenüber Menschen, denen ihre Gesundheit wichtig ist, reihen sich extremistische Kräfte von Rechts und erhalten Unterstützung von extrem marktliberalen Kräften. Im Umkreis der AfD scheinen die unterschiedlichen Antipoden einer angeblichen Corona-Diktatur zusammenzulaufen und man bedient sich mitunter der verschiedenen Verschwörungsmythen rund um Corona. So bezeichnet man die Corona Pandemie unter anderem als „ein Konstrukt voller Lügen und mafiöser Strukturen“ (Deutschland-Kurier vom 12.05.2020) und der Bundestagsabgeordnete Jens Maier fabulierte kürzlich bei Twitter über angebliche Zwangsimpfungen und Immunitätsausweise: „Geimpft, gechipt und kastriert.“ Diese Strategie von Rechts ist alleine schon problematisch genug, denn sie hindert Menschen dahingehend, die Gefahr der Pandemie realistisch einzuschätzen, weil sie mit absurden Falschinformationen und unablässigem Verschwörungsgeschwurbel gefüttert werden.

Problematisch an der aktuellen Entwicklung und der Strategie von Rechts ist zudem, dass hierbei die grundgesetzlichen Freiheitsrechte überbetont und das mit Freiheitsrechten zusammenhängende und notwendige Verantwortungsbewusstsein eines jeden Einzelnen ebenso wie die Geltung anderer Grundrechte vollständig ausgeblendet oder abgewertet werden. Von Abwägungsprozessen, die auf rechtsstaatlichen Grundsätzen beruhen, ist da nichts zu hören. Mit solchen radikalen bis extremistischen Kräften sollten sich Demokrat*innen und Verfassungspatriot*innen niemals gemein machen.

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